Zu einer Zeit, als die Drogenproblematik immer stärker in das öffentliche Bewusstsein trat und die traditionelle Suchthilfe erkennen musste, dass sie nur einen kleinen Teil der Drogenkonsumenten erreichen konnte, waren innovative Ansätze und neue Denkmodelle gefragt. In dieser Atmosphäre entstand bei den Vereinsgründern schon früh der Wunsch, durch eine eigene niedrigschwellige Anlaufstelle die Kölner Drogenhilfelandschaft zu ergänzen.
Zweckverband
Als ersten Schritt in diese Richtung wurden Informationen aus dem benachbarten Düsseldorf eingeholt, wo der dort ansässige Junkie Bund bereits seit geraumer Zeit an einem entsprechenden Konzept strickte. Ergebnis dieser Kontakte zu weiteren dem JES-Netzwerk angehörigen Gruppen in NRW war schließlich am 4. Februar 1991 die Gründung eines Zweckverbands „Kontaktladen“, dem neben Köln und Düsseldorf auch Bonn und Dortmund angehörten. Unterstützt durch die AIDS-Hilfen führte dieser Zweckverband erste Gespräche und später konkrete Verhandlungen mit der Landespolitik. Nach anfänglicher Skepsis stießen die Aktivisten hier auf Zuhörer, die sie von ihrer Idee einer durch die akzeptierenden Drogenselbsthilfen betriebenen Kontakt- und Anlaufstelle überzeugen konnten.
Das nordrheinwestfälische Kontaktladenmodell war geboren. Mit einer Förderung in Höhe von 100.000 DM begannen die vier Vereine zu arbeiten. Für Köln beteiligte sich die Kommune mit einer 10 % Fehlbedarfsfinanzierung an den Kosten.
Beethovenstraße
Damit fanden drei Jahre als Untermieter der Kölner AIDS-Hilfe ihren Abschluss. Die hier genutzten Räume – erst eine kleine „Dachkammer“, die kostenfrei genutzt wurde und später einen zusätzlich angemieteten kleinen Gruppenraum – platzten schon lange aus allen Nähten. Die Verbindung zwischen Junkie Bund und AIDS-Hilfe hatte ihren Ursprung neben dem liberalen, humanen und von Lebensstilakzeptanz geprägten Selbstverständnis und in der Person eines ehrenamtlich für die AIDS-Hilfe in der Pipienstraße tätigen Mitarbeiters, der auch zu den Gründern des Junkie Bund zählte. Ihm verdankte der Verein, dass er nach dem Umzug der AIDS-Hilfe in die Beethovenstraße unentgeltlich ein kleines Büro nutzen konnte.
Von dort aus organisierte der Junkie Bund seinen Spritzentausch auf der Neumarktszene. Dazu bot man im Büro unter anderem HIV- und Hepatitis Beratung an. Die AIDS-Hilfe spendete die Ausstattung des Büros und später auch des hinzugekommenen Gruppenraums.
Damit war der Grundstein für den Erfolg dieses damals noch exotischen Angebots gelegt. Ohne die Unterstützung eines solchen Partners, von dem man lernen konnte, ohne bevormundet zu werden, wäre der Weg um vieles steiniger gewesen. Trotz der beengten Verhältnisse herrschte in der Beethovenstraße – fragt man Zeitzeugen – eine Atmosphäre von freundlicher Chaotik verbunden mit einer warmen und aufgeschlossenen Gastlichkeit.
Aachener Straße – oder auch nicht?!
Endlich konnte nun mit der Suche nach eigenen, ausreichend großen Räumen begonnen werden. Geplant war die Anmietung eines Ladenlokals im Linksrheinischen. Leider zeigte sich hier schnell, dass nur einige wenige Vermieter geneigt waren, einer Drogenselbsthilfe ihre Räume für ein solches Angebot zu vermieten. Hinzu kam die fehlende Erfahrung im Umgang mit Vermietern und Maklern. Das Ergebnis war die Unterzeichnung eines Mietvertrags für ein Objekt in der Aachener Straße. Die Umbau und Renovierungsarbeiten wurden aufgenommen, doch schnell zeigte sich, dass der Vermieter uns über den sprichwörtlichen Tisch gezogen hatte und seine Zusagen nicht einhalten würde. Der Vertrag wurde noch vor der Eröffnung der Räume wieder gekündigt und es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit, der den Verein schließlich beinahe in den Bankrott trieb. Nur die finanzielle Unterstützung der AIDS-Hilfe NRW konnte dies verhindern.
Berliner Straße
Die Suche nach einer geeigneten Immobilie begann erneut und führte schließlich am 1. Mai 1994 zu der Anmietung der Räume einer ehemaligen Beratungsstelle des Arbeitskreis Drogenhilfe in der Berliner Straße im rechtsrheinischen Köln Mülheim. Damit waren wir zwar „op de schäl Sick“ und nicht wie gewollt in der Innenstadt, aber Mülheim gehörte damals schon zu den Brennpunkten und hatte eine große Heroinszene vorzuweisen.
Der Junkie Bund expandierte: Präventionsveranstaltungen, ein Zeitungsprojekt, regelmäßige Öffnungszeiten mit Frühstück und Mittagessen, ein Mitgliederrundbrief und regelmäßige Kontakte zu anderen Junkie Bünden/JES Gruppen machten den Kölner Junkie Bund zu der Informationsbörse für Drogen Gebrauchende. HIV-/Hepatitisprävention und harm reduction standen im Mittelpunkt des Tagesgeschäfts. Während der Laden „brummte“ und erste Personalstellen mit Ehemaligen und Substituierten besetzt werden konnten, gab es aber auch immer wieder schwierige Situationen. Das Eintreten für eine humane Drogenpolitik einerseits und der eigene Hintergrund als Konsumenten führte bei den Mitarbeitern oft zu einem Dilemma. Sie mussten die Hausordnung gegen Freunde und Bekannte durchsetzen, Konsum und Handel in den Räumen unterbinden usw. Es versteht sich fast von selbst, dass dies nicht immer einfach war und zugegeben auch lange nicht immer gelang.
Auffangsubstitution
Dennoch stieg die Akzeptanz des Junkie Bund bei den mit uns befassten Ämtern und Medien spürbar. Ein Ergebnis dieser Entwicklung war es, dass wir dem Kölner Gesundheitsamt kostenfrei einen Raum zur Verfügung stellten. Von hier aus wurde im Rahmen der Modellerprobung zur medikamentgestützten Rehabilitation i.v. Opiatabhängiger die Methadonsubstitution durchgeführt und eine medizinische Sprechstunde angeboten. Gewissermaßen im Gegenzug wurde eine Stelle für einen Sozialpädagogen zur psychosozialen Begleitung der Substituierten genehmigt.
Die Folgen waren vielfältig: Nachdem in den ersten Monaten die Besucher in erster Linie aus den Reihen aktiver Konsumenten kamen, stellten nun Substituierte die Mehrheit. Einschneidender jedoch war die aufkeimende Diskussion um die Anstellung von Sozialarbeitern/-päda-gogen, welche nicht über einen Drogenhintergrund verfügten. Die Entscheidung für diesen Weg brachte dem Junkie Bund viel Kritik aus den eigenen Reihen und aus dem JES-Netzwerk ein. Rückblickend ist es aber wahrscheinlich neben vielen anderen auch diese Entscheidung, die mit dazu führte, dass der Kölner Junkie Bund als einziger „Überlebender“ des Kontaktladenmodells noch heute arbeitet und wächst.
Durch die Vergrößerung des Teams fielen dem Junkie Bund auch weitere Aufgaben und Tätigkeitsfelder zu: Substitutions- und Therapievermittlung, Schuldenberatung, Begleitgänge zu Ämtern und Gerichten sind nur einige Themen.
Im Mai 1997 endete die Auffangsubstitution in der Berliner Straße und erneut verschob sich die Besuchergruppe hin zu aktuell Konsumierenden. Die Tatsache dass der Kontaktladen in einem reinen Wohnhaus in einer normalen Wohnung untergebracht war, brachte in den nächsten Monaten immer größere Probleme mit sich. Die Beschwerden der Anwohner häuften sich, da im Hinterhof gehandelt wurde und immer wieder Besucher gezwungen waren, im Hausflur zu konsumieren, da der Verfolgungsdruck außerhalb stieg.
In den Reihen
Mit Ablauf der Vertragslaufzeit erfolgte daher 1999 auf Druck des Gesundheitsamtes die Verlagerung in ein Gebäude der Gebäudewirtschaft In den Reihen in Köln Kalk. Obwohl auch Kalk eine größere offene Drogenszene vorzuweisen hatte, war der Standort mehr als ungeeignet für ein niedrigschwelliges Angebot, da er zu weit von den Treffpunkten entfernt war. Die fünf Jahre an dieser Stelle waren geprägt von dem erfolglosen Versuch. die Kalker Junkies zu erreichen. Einzig die Streetworkangebote wurden angenommen. Zeitweise wurde sogar ein Shuttle Service eingerichtet, um die User zu einem Besuch der Einrichtung zu motivieren. Aber auch dieser Versuch lief ins Leere. Während der gesamten fünf Jahre wurde der Betrieb fast ausschließlich durch die Substituierten gerechtfertigt, die dort ihre PSB Termine wahrnahmen. Das Gefühl aller Mitarbeiter, abgeschoben worden zu sein, war äußerst demotivierend. Dennoch bestand die Hoffnung, erneut durchstarten zu können, wenn der mit der Kölner AIDS-Hilfe ausgearbeitete Plan eines rechtsrheinischen Drogen- und Gesundheitszentrums (DRUGS) erst umgesetzt würde. Das Konzept vereinte ein Arbeits- und Beschäftigungsprojekt mit einem Drogenkonsumraum und sollte für die Förderung von kreativen Potentialen Platz bieten. Dieser Plan jedoch konnte nur zu einem kleinen Teil realisiert werden und die Tatsache, das sich der Junkie Bund unter den neuen Bedingungen stark mit seinen eigenen Strukturen beschäftigte, führte dazu, dass sich die AIDS-Hilfe einem anderen Kooperationspartner zuwandte.
So blieb letztlich nur Existenzangst verbunden mit dem Frust, den die ungenutzten Potentiale mit sich brachte. Alle warteten auf die erste Gelegenheit, einen neuen besseren Platz für die Arbeit des Vereins zu finden. Die Suche nach geeigneten Immobilien begann schon lange vor Ablauf des Mietvertrags. Gegen den Willen und die Empfehlung von Gesundheitsamt und Polizei fiel die Wahl letztlich 2003 auf ein Gebäude mit bewegter Vergangenheit in der Kalker Taunusstraße.
Taunusstraße
Nach vierjähriger Durststrecke war hier endlich wieder die nötige Szenenähe gegeben und die Besucherzahlen stiegen schnell an. Die zeitgleich stattfindende Szenezerschlagung an der Kalk Post tat ein Übriges, da sich die Konsumenten entlang der Taunusstrasse neue Treffpunkte suchten. Jedoch auch für dieses Domizil gab es einige Wermutstropfen – wie schon in der Aachener Straße. So war auch hier erneut der Vermieter nicht ideal. Die Miete war unangemessen hoch und das ehemalige Bistro in einem zum Teil erbärmlichen Zustand. Dennoch kam neuer Schwung in das Team und alle arbeiteten mit Feuereifer am Umbau und der Renovierung des Kontaktladens mit.
Weitaus dramatischer war der Widerstand der Anwohner, der sich schnell formierte. Die Folgen des Junkie Joggings (Verlagerung der Szene in das Wohngebiet Humboldt-Gremberg) wurden nicht den Verursachern, sondern dem Junkie Bund zugeschrieben. Unter der Führung des Bürgervereins und insbesondere seiner Vorsitzenden wurden nicht nur Proteste organisiert und öffentlich Stimmung gemacht; die Akteure schreckten auch nicht davor zurück, die Türschlösser zu verkleben und ähnliches.
Trotz wiederholter Gesprächsangebote kam jedoch nie ein wirklicher Dialog zwischen den Parteien zustande. Während der Kontaktladen wieder gut ausgelastet war, begleitete uns diese Auseinandersetzung über die gesamte Zeit in der Taunusstraße. Besonders hart traf den Verein Anfang 2006 die Nachricht von der Krebserkrankung seines Mitbegründers und Geschäftsführers Bernd Lemke. Im Oktober verstarb er an den Folgen dieser Erkrankung und wir mussten uns endgültig von ihm verabschieden. Dies bedeutete für alle das Ende einer Aera. Glücklicherweise fand sich mit Dr. Axel Hentschel schnell ein Mensch, der den Verein schon lange als solidarische Person begleitete, um die kommissarische Geschäftsführung zu übernehmen. Es war aber allen Beteiligten klar, dass die Geschäftsführung so schnell wie möglich wieder von jemandem übernommen werden sollte, der eine Drogenbiographie mitbringt. Mit Marco Jesse wurde dieser Anfang 2007 gefunden und es begann ein neuer Abschnitt in der Vereinsgeschichte.
Neuerburgstraße
Zwischenzeitlich war die Diskussion um den Standort so weit eskaliert, dass der Rat der Stadt eine Verlagerung beschlossen hatte und die Verwaltung mit der Suche nach einem geeigneten Objekt beauftragte. Die Suche zog sich über fast 1 ½ Jahre hin und endete schließlich in der Entscheidung, in der Kalker Neuerburgstraße einen Containerbau für den Verein zu errichten. Das gab uns die Chance, die zur Verfügung stehende Fläche nach unseren Bedürfnissen zu gestalten. Die lange gewünschte Dusche wurde ebenso berücksichtigt, wie eine behindertengerechte Ausstattung und Büros, in denen in ruhiger und angenehmer Atmosphäre beraten und gearbeitet werden kann. Als „Sahnehäubchen“ kommt das großzügige Außengelände dazu – fast 750 qm, die wir nach unseren eigenen Vorstellungen nutzen können.
Um Auseinandersetzungen wie in Humboldt-Gremberg zu vermeiden, fanden bereits im Vorfeld viele Gespräche mit Anwohnern und Vertretern der Bürgerschaft statt um über die Arbeit zu informieren und Ängste abzubauen.
Dieser Weg erwies sich als der Richtige. Seit Umzug in die Neuerburgstraße gehören Anwohnerproteste und –beschwerden der Vergangenheit an. Endlich können wieder alle Kapazitäten für die eigentlichen Aufgaben genutzt werden. Mit der zeitgleich zum Umzug erfolgten Namensänderung und neuen Angeboten, wie dem ambulant betreuten Wohnen, starteten wir in die Zukunft. Der für acht Jahre geschlossene Mietvertrag gibt uns die Chance, etwas längerfristig zu planen. Obwohl nicht in unmittelbarer Szenenähe, so ist der Standort doch ein guter Kompromiss. Die Besucherzahlen waren schnell wieder auf dem Niveau der Taunusstrasse und so sehen wir für den Standort Kalk positiv in die Zukunft.
An der Fuhr
Die aktuellste Entwicklung bildete die Eröffnung eines kleinen Kontakt- und Beratungsangebotes „An der Fuhr“ in Köln Meschenich. Mit dem berüchtigten „Kölnberg“ liegt die Anlaufstelle auch wieder mitten in einem sozialen Brennpunkt. Die Plattenbausiedlung am Rande Kölns war bisher, in Bezug auf die Versorgung von Drogenkonsumenten, isoliert. Die schlechte Verkehrsanbindung führt dazu, dass die Bewohner innerstädtische Beratungsstellen nicht nutzen. Aus dieser Erkenntnis heraus entstand die Idee in einer kleinen Wohnung einen ersten Anlaufpunkt zur Verfügung zu stellen, an dem Spritzen getauscht werden können und wöchentlich ein gemeinsames Frühstück möglich ist. Zeitgleich wurde zur anonymen Versorgung mit Spritzen und Kanülen ein Automat installiert. Die auf zwei Jahre ausgerichtete Testphase nähert sich langsam dem Ende und bald gilt es, Bilanz zu ziehen. Schon jetzt lässt sich sagen, dass ein solches Angebot am Kölnberg unentbehrlich ist. Überdurchschnittlich viele der Besucher sind Frauen, die sich prostituieren und sich in einem schlechten Allgemeinzustand befinden.
Auch in dieser „Zweigstelle“ hat sich wieder gezeigt, dass die Kombination von Betroffenenkompetenz und Sozialarbeit erfolgreich ist. Die Besucher fühlen sich in den Räumen sehr wohl und so angenommen, wie sie sind, ohne Rechtfertigungsdruck, ohne Vorgaben und Bedingungen.