Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger

 

Umgang mit Drogenabhängigen

Experten geben Tipps für das Verhalten an Hotspots – Stigmatisierung entgegenwirken

Kalk. Alles begann mit den Problemen vor der Kita Vietorstraße: In dem Hinterhof trafen sich Dealer und Drogenkonsumenten. Die Kinder liefen auf dem Weg zur Kita vorbei an Menschen, die auf dem Boden lagen. Spritzen überall, und die Dealer versteckten die Drogen sogar auf dem Kita-Gelände. Die Kita engagierte einen Sicherheitsdienst, der den Eingang überwachte. „Das war eine desolate Ecke“, fasst Alexander Tschechowski zusammen. Der Sozialraumkoordinator für Kalk berichtet von einem Runden Tisch mit Vertretern von unter anderem der Polizei und der Verwaltung, an dem auch er selbst beteiligt war. Dort habe man über kurzfristige und langfristige Strategien gesprochen.

Tschechowski, Tobias Berg, Streetworker der Diakonie Michaelshoven in Kalk, und Claudia Schieren, Geschäftsführerin von Vision, einem Verein für innovative Drogenselbsthilfe, stellten nun die kölnweit erste „Handlungsempfehlung zum Umgang mit Personen mit dem Lebensmittelpunkt Straße und Konsumverhalten“, die sie gemeinsam verfasst haben.„Was tun wenn“ lautet der Titel, des Flyers, den die Kalker in den nächsten Wochen in ihren Briefkästen finden. Wer den QR-Code auf dem Flyer scannt, landet auf einer Internetseite, auf der Fragen wie „Was tun, wenn ich eine konsumierende Person antreffe?“, „Was tun, wenn meine Kinder eine konsumierende Person antreffen?“,„Wann rufe ich Notarzt oder Polizei?“ und „Kann ich eine gebrauchte Spritze sicher entsorgen?“ ausführlich beantwortet werden. „Wir wollen die Öffentlichkeit für die Probleme von Obdachlosen sensibilisieren, der Stigmatisierung im öffentlichen Raum und der Unsicherheit der Menschen im Umgang mit Drogengebrauchern und -gebraucherinnen entgegenwirken“, sagt Tschechowski.

„Da liegt jemand hilflos rum und niemand traut sich, was zu tun“, hat Streetworker Berg mehrfach beobachtet.Dabei müsse niemand befürchten, für Kosten aufkommen zu müssen, wenn er einen Rettungswagen rufe. Die Beteiligten freuen sich, dass ihr Beispiel Schule machen soll. Die Stadtverwaltung hat schon nachgefragt, ob sie den Flyer auch in anderen Stadtteilen nutzen darf. Claudia Schieren erklärt, dass der Stadtteil Kalk neben dem Wiener Platz in Mülheim ein Drogen-Hotspot sei.  „Die kommen alle zu uns.“ Das liege nicht zuletzt daran, dass es auf der Kalk-Mülheimer-Straße „eine außerordentlich gut organisierte Anbieterszene“ gebe. „Das Problem wird man allein durch ordnungspolitische Maßnahmen nicht in den Griff bekommen.“

Kaum Bänke in Kalk

Schieren bemängelt, dass es nur noch wenige Bänke im öffentlichen Raum von Kalk gebe, auf die man sich setzen könne. Auf dem Platz vor Kalk-Post stehe nicht ein einziges Sitzmöbelstück. „Es für Drogengebraucher total anstrengend, den ganzen Tag auf den Beinen zu sein“, sagt Schieren.

Einige Crack-Konsumenten wechseln sich im Vision e.V. auf drei Sofas tagsüber beim Schlafen ab. Nachts gebe es nur wenige Schlafstellen mit einem Dach über dem Kopf. „Das sind keine schönen Stellen. In manchen muss man sich beim Eintritt komplett nackt ausziehen, um zu beweisen, dass man keine Substanzen oder Waffen dabei hat.“ Und dann müsste man die Nacht ohne Drogen durchhalten, denn wenn man einmal die Notschlafstelle verlasse, werde man in dieser Nacht nicht wieder eingelassen. Ein großes Problem seien Hunde, die in den Einrichtungen verboten seien. Schieren kritisiert das: „Die Wohnunglosen wollen sich nicht nächtelang von ihrem Tier trennen. Die haben ja nichts außer ihrem Hund.“

VON STEFAN RAHMANN

Download: 2024-05-06-KStA-Umgang-mit-Drogenabhaengigen.pdf

Kölner Stadt-Anzeiger

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Eine Antwort

  1. VISION e.V. sagt:

    Diesen Kommentar haben wir per Mail erhalten und möchten den euch nicht vorenthalten. Sehr gerne hören wir davon noch viele mehr. Vielen Dank nach Nippes, dass wir den hier Posten dürfen

    Sehr geehrter Herr Tschechowski,
    sehr geehrte Frau Schieren,
    sehr geehrter Herr Berg!

    ENDLICH!!…

    …Endlich mal nicht einer dieser unsäglichen Artikel zum Thema „Drogenbenutzer“!!! Sondern einer, in dem die Not und das Elend dieser Menschen mit Respekt und Wissen beschrieben werden. Ich habe schon aufgestöhnt und wollte weiterblättern, aber dann las ich die Worte „Stigmatisierung entgegenwirken“…

    Wenn man im Kölner Stadtanzeiger liest dass „ein Mann sich aus Angst vor den Obdachlosen/Drogenbenutzern an der Haltestelle Appellhofplatz von seiner Frau zur Arbeit fahren lässt“ (Memme!!) oder Kinder auf dem Weg zur Schule den Ebertplatz meiden aus Sorge, Dealer könnten Sie ansprechen (wozu? die haben doch überhaupt keine Kohle für Drogen!) dann denke ich: „Armes Deutschland“

    Ich bin dauernd an sämtlichen Hotspots unterwegs, bin NOCH NIE von einem Dealer auch nur angeschaut worden (und ICH könnte mir Drogen leisten..) und habe mich nur insofern unwohl gefühlt als ich dachte: Drogen und Obdachlosigkeit machen Menschen kaputt und in diesem Zustand werden sie auch noch von Sicherheitsdiensten, KVB-Mitarbeitern oder der Polizei vertrieben. WOHIN??? Es gibt keinen Ort, an dem sie willkommen wären oder zumindest in Ruhe gelassen würden – die legalen Konsumplätze sind ein „Krümel wo es eine Laib Brot bräuchte“ und die Unterkünfte (keine Hunde, keine Drogen, morgens raus) machen nur für eine Handvoll Menschen Sinn…

    Also, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger: möchtet Ihr Drogenabhängige vor Eurem Haus oder in Eurer Straße haben?? Wenn nicht, DANN LASST SIE BITTE IN RUHE dort, wo Sie sind!!

    Nicht die Junkies sind das Problem, sondern die Gier einer Gesellschaft, die dazu führt, dass es Gewinner und Verlierer gibt. Wer hart genug ist, da mitzuwirken, muß auch den Anblick eines Drogenabhängigen aushalten können!

    So – ich glaube ich habe alles gesagt!
    Außer: Toller Artikel, super Idee mit dem „Leitfaden“, Vision e.V. kennengelernt – perfekt!

    Viele Grüße aus Nippes
    Andrea E.

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