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Völlig unerwartet traf uns die Nachricht vom Tode Marco Jesse.
Marco entschied sich 2007 die Nachfolge von Bernd Lemke anzutreten und übernahm die Position des Geschäftsführers im Junkie Bund Köln. Dafür ließ er seine Heimatstadt zurück und übergab anderen Bremer Drogengebraucher*innen den dortigen Drogenselbsthilfe Kontaktcafé, das er gemeinsam mit seiner Frau und anderen Unterstützer*innen aufgebaut hat.
Bernds Fußstapfen in Köln waren groß, doch Marco fuchste sich in sein neues Aufgabengebiet ein und wurde vom Team und von der Community angenommen und akzeptiert. In den 13 Jahren seiner Geschäftsführertätigkeit bei VISION hat er eine Institution geschaffen, die bundesweit berechtigt als „Leuchtturmprojekt“ bekannt ist.
Marcos Engagement kannte kaum Grenzen, Wochentage, Wochenenden, er war bereit, seinen Teil einzubringen, um die Bedingungen für konsumierende Frauen und Männer zu verändern.
Die Änderung des Vereinsnamens war eine seiner ersten Handlungen, die er gemeinsam mit dem Team umsetzte. Der Junkie Bund Köln e.V. wurde zum Verein für Innovative Drogen(Selbst)Hilfe VISION e.V. und wechselte den Standort, der nicht besser hätte gewählt sein können. Ebenso ergriff er die Chance, ein Spiegelbild des Kalker Angebots in Meschenich am Kölnberg aufzubauen.
Marco hatte die Vision den Verein zu vergrößern und ein Schritt zum Erreichen des Ziels war der Aufbau des Ambulant betreuten Wohnens für drogengebrauchende Menschen. Menschen mit Respekt behandeln, auf Augenhöhe, ihre Entscheidungen akzeptieren und ihnen die Unterstützung gewähren, die sie wollen und brauchen. Das ansonsten als hochschwelliges bekannte BeWo Angebot wurde bei VISION so niedrigschwellig wie möglich umgesetzt.
Menschen dort abholen, wo sie sind und sich aufhalten. Das war auch ein Teil seiner Idee und führte zum Aufbau des Streetwork Angebots bei VISION. Marco feilte so lange am Konzept, bis es für ihn passte und die Streetworker mit einem Bus ausgestattet, eine vor Ort Beratung auf den Szenetreffpunkten anbieten konnten.
Marco richtete seinen Blick auch auf die Kölner Drogenpolitik und vertrat VISION in unterschiedlichen Arbeitskreisen und Gremien. So gelang es ihm, die Sicht der Drogengebrauchenden Menschen einzubringen und ein Korrektiv zu den Vertreter*innen des Städtischen Angebots der Sucht- und Drogenhilfe darzustellen. Auch über die Grenzen Kölns und NRW hinaus engagierte Marco sich lange Jahre im Netzwerk JES und übernahm als Vorstandsmitglied Verantwortung für den Erhalt und Aufbau des Netzwerks von Junkies, Ehemaligen und Substituierten.
Oft haben wir uns gefragt, woher Marco die Power und Ausdauer nimmt, mit der er die Aufgaben abarbeitete. Die Antwort scheint ganz simpel – es hatte eine Vision, von der er überzeugt war und für die er kämpfte. Um Drogengebraucher*innen eine Unterstützung zu sein und ihnen ein Angebot zu machen, bedarf es unbedingt auch Peer Arbeit. VISION war sein Lebenswerk.
Anfang des Jahres 2020 beendete Marco sein Engagement bei VISION und sein Lebenswerk übernahmen andere. Seine Erfolge bleiben unumstritten und sind für alle Menschen, die sich im Bereich der Drogen- und Suchthilfe bewegen, sichtbar. Er wird in unserer Erinnerung immer derjenige sein, der VISION groß gemacht hat, mit seinen Ideen und seinem Engagement und mit seinem Team, das ihn 13 Jahre unterstützte.
Du bleibst, Marco, du wirst deinen Platz bei VISION wieder finden, auch wenn du persönlich nicht hier sein kannst.
Lieber Marco,
als du am 1. Mai 2007 die Arbeit im Junkie Bund Köln angefangen hast, war ich bereits seit ca. ein dreiviertel Jahr dort beschäftigt und führte dich in die EDV-Strukturen ein. Im August 2007 hast du dann die Geschäftsführung übernommen und gemeinsam entwickelten wir den Ausbau des internen Computer-Netzwerks und der Internet-Seite. Uns stand eine aufregende Zeit bevor. Wir planten im noch recht kleinen Team den bevorstehenden Umzug von der Taunusstraße in die Neuerburgstraße und damit auch einhergehende Namensänderung des Vereins, welcher am 1. Oktober 2008 vollzogen wurde.
Am neuen Standort übernahm ich mit deiner Unterstützung die Verwaltungsaufgaben und die Buchhaltung von VISION. Alles war neu, vieles musste gelernt und auch neu strukturiert werden. Du warst immer da und hast stets ein offenes Ohr für meine arbeitstechnischen, aber auch privaten Probleme gehabt. Wie oft haben wir gemeinsam über Finanzplänen und Förderungsanträgen gebrütet, Anschaffungen und Verträge jeglicher Art recherchiert und Preise verglichen, Dateivorlagen und Flyer besprochen, Veranstaltungen organisiert und vieles vieles mehr. Es gab kaum einen Bereich, in dem du nicht Wissen vorweisen konntest. Mal abgesehen von deiner Meinung zu fast allen Belangen, die ich immer gerne zu Rate gezogen habe.
In den 13 Jahren Zusammenarbeit gab es natürlich auch Zeiten, in denen es zwischen uns nicht ganz reibungslos lief. Mal fühlte ich mich nicht verstanden, mal redeten wir aneinander vorbei, manchmal waren wir anderer Meinung und verharrten in dieser. Aber wir haben letztendlich immer wieder einen Weg gefunden, Unstimmigkeiten und Differenzen zu klären, um darüber auch zu wachsen und gegenseitig zu lernen.
Als ich 2015 überlegte, mir einen Hund anzuschaffen, hast du mich in der Entscheidung bekräftigt und mir einen Weg ermöglicht, wie dies auch mit der Arbeit vereinbar ist. So kam der rumänische Straßenhund Carlos in mein Leben und in das von VISION. Von da an war er jeden Tag mit auf der Arbeit und du warst einer der wenigen, der direkt auch einen intensiven und innigen Kontakt mit dem unsicheren Sensibelchen aufbauen konntest… als ob er es gespürt hätte, dass er ohne dich nicht dieses neue Zuhause bekommen hätte. Im Laufe der letzten Jahre kam er auch immer öfter teils über mehrere Tage zu dir nach Hause, wenn ich aus unterschiedlichsten Gründen Zeit für mich brauchte.
Du hast einen langen und wichtigen Abschnitt meines Lebens zum einen als Chef und zum anderen als Freund geprägt und es macht mich unendlich traurig, dass du nun von uns gegangen bist. Ich bin dir für alles äußerst dankbar und werde dich nie vergessen.
Simon