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Hartz IV: Beihilfen hinken steigenden Mieten hinterher. Betroffene bleiben auf 650 Millionen Euro pro Jahr sitzen. Von Susan Bonath
Es ist längst real in Deutschland: Wohnungsnot auf der einen und Mietwucher auf der anderen Seite sorgen für Andrang in den Restbeständen der unsanierten Platte. Vor allem in den Randgebieten der Großstädte entstehen regelrechte Armenviertel. Wer auf Hartz IV angewiesen ist, findet selbst dort oft keine passende Bleibe mehr. Grund: Die Kostenzuschüsse hinken den steigenden Mieten hinterher. So müssen Betroffene einen Teil der Wohnkosten aus ihren mickrigen Regelsätzen bestreiten, die eigentlich für andere existentielle Grundbedürfnisse wie Essen, Kleidung, Strom und Mobilität vorgesehen sind. In welchem Umfang, hat unlängst die Bundesagentur für Arbeit (BA) ermittelt – über die neuen Zahlen berichtete vergangene Woche zuerst das MDR-Magazin „Umschau“.
Im Schnitt muss demnach jeder Hartz IV beziehende Haushalt zwischen zehn Euro (Jena) und 26 Euro (München) zuzahlen. Im Einzelfall können das auch 100 Euro oder mehr sein. Das liegt an zu niedrig angesetzten Obergrenzen für die „Kosten der Unterkunft“, die jede Kommune für sich selbst festlegt. Während der Bund für die Regelleistungen aufkommt, sind die Städte und Gemeinden für die Miete zuständig. „Und dort wird gespart auf Kosten der Ärmsten“, konstatierte Sozialrechtsanwalt Dirk Feiertag gegenüber dem MDR. Er geht deshalb seit Jahren gegen die Stadt Leipzig vor, deren Obergrenzen er für „viel zu niedrig“ hält. Nach einer Minierhöhung zum 1. April 2018 erhalten Einpersonenhaushalte nun maximal eine Warmmiete von 335,38 Euro erstattet, gut zwei Prozent mehr als zuvor. Wohnungen zu diesen Preisen seien aber nach wie vor kaum zu bekommen, so der Anwalt.
Die aktuelle Monatsstatistik der BA zur „Wohn- und Kostensituation im SGBII“, die jW vorliegt, gibt weiteren Aufschluss über die Diskrepanz zwischen tatsächlich gezahlten und
von Jobcentern anerkannten Mieten. So hatte die BA im Januar 2018 bundesweit 3,18 Millionen Haushalte mit Anspruch auf Hartz IV erfasst, die insgesamt 1,523 Milliarden Euro fürs Wohnen, also im Schnitt je 479 Euro, aufbringen mussten. Tatsächlich berücksichtigten die Jobcenter davon aber nur knapp 1,47 Milliarden Euro. Die Leistungsbezieher blieben somit auf der Differenz von 54 Millionen Euro, rund 17 Euro je Haushalt, sitzen. Jährlich sparen die Jobcenter so fast 650 Millionen Euro. Das Problem existiert nicht erst seit Neuestem. Anfang‘ 2015 lag der Anteil nicht übernommener Wohnkosten ähnlich hoch.
Hinzu kommt, dass Jobcenter bei die Wohnkosten kürzen können, wenn Hartz-IV-Bezieher ein Jobangebot ablehnen oder zu wenige Bewerbungen nachweisen. Das tun sie auch: Laut BA betrug das Gesamtvolumen der Strafkürzungen alleine in diesem Januar 14,4 Millionen Euro, die gut 132.000 Betroffenen von der Grundsicherung abgezogen wurden. Davon entfielen mehr als 1,4 Millionen Euro auf die Mietzuschüsse.
So wundert es nicht, dass sich jeder siebte Widerspruch und mehr als jede sechste Klage im Bereich Hartz IV gegen zu geringe Mietbeihilfen richtet. Auch das geben neue Zahlen der Agentur her. Doch die BA redete am Freitag ihre Bilanz schön, wie der Sozialrechtler Harald Thome vom Erwerbslosenverein Tacheles in einer Mitteilung vom Sonntag befand. So lobte die Nürnberger Behörde, 2017 seien „nur“ 639.000 Widersprüche und damit 8.800 weniger als im Vorjahr eingegangen. Auch die Zahl der Klagen sei um 3.400 auf 111.600 gesunken. „Gleichzeitig hat sich jedoch die Zahl der Regelleistungsberechtig-ten gegenüber 2016 um 137.100 Personen auf 6,1 Millionen erhöht“, gab sie zu bedenken. Allerdings, so Thome, habe die BA lediglich die 303 dem Bund und den Kommunen unterstehenden Jobcenter erfasst und 100 kommunale Ämter ebenso ausgeblendet, wie die Tatsache, dass 44,5 Prozent der Widersprüche und 34 Prozent der Klagen zugunsten der Hartz-IV-Bezieher entschieden wurden.
Dass die Sparpolitik zu wachsender Obdachlosigkeit beiträgt, prangern Sozialverbände seit längerem an. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) schätzte kürzlich, dass Ende dieses Jahres 1,2 Millionen Menschen kein Dach über dem Kopf haben werden. Die Stiftung „Off Road Kids“ warnte vergangene Woche vor einem rasanten Anstieg der Jugendobdachlosigkeit auf mehr als 100.000 Betroffene (JW berichtete). Ein Dach über dem Kopf sei ein Menschenrecht, das der Staat jedem gewähren müsse, fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband. Davon ist Deutschland weit entfernt.